"Dass sich noch Leute finden, welche an uns denken (...)", Zwangsarbeiter in Tuttlingen - Spurensuche - Erinnern - Verantwortung

Hintergrund

Bedeutung


In der Industriestadt Tuttlingen wurden kriegswichtige Produkte hergestellt, so z. B. Lazarettbesteck und Stiefel für die Soldaten. Wie im übrigen Reich waren auch in Tuttlingen Arbeitskräfte zunehmend knapp, deshalb wurden zu Beginn der 1940er Jahre sogenannte "Fremdarbeiter" eingesetzt. Für die Stadt Tuttlingen waren 1715 Zwangsarbeiter verzeichnet. (Informationen aus: Bambusch, N. J., Fremdarbeit im Landkreis Tuttlingen zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Tuttlinger Heimatblätter 2018, S. 57)

Zahlen sind zwar wichtig um einen Eindruck zur Größenordnung des Zwangsarbeitereinsatzes zu erhalten, aber dabei darf es eben nicht bleiben. Hinter jeder Zahl steht ein Individuum, dem die Würde im Zwangsarbeitereinsatz geraubt und das auf eine Nummer reduziert wurde unter den Nationalsozialisten.

Im vorliegenden Unterrichtsmodul stehen hauptsächlich Erinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter im Mittelpunkt. Von Grigori Masur, einem ehemaligen Zwangsarbeiter, der bei der Firma Chiron arbeitete, ist der Gedanke überliefert "Dass sich noch Leute finden, welche an uns denken (...)". Hier zeigt sich das tiefe Bedürfnis, dass man sich an sein Schicksal erinnert.

B 2 Arbeitskarte von Grigori Masur

 

Das Thema und auch die Quellen eignen sich, darüber zu reflektieren, in welcher Form Erinnerung stattfinden kann. Die Erzählungen ermöglichen es, die Empathiefähigkeit zu fördern, gerade weil die meisten ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, deren Berichte vorliegen, nur wenig älter bzw. im gleichen Alter zum Zeitpunkt ihres Einsatzes waren, wie die Schülerinnen und Schüler.

Deutlich wird in der kurzen Unterrichtseinheit, dass die persönlichen Berichte zu einem umfassenden Bild noch nicht genügen, dazu sind politische Zusammenhänge notwendig. Beide Aspekte, subjektiver Bericht sowie politisch-historische Zusammenhänge, werden verknüpft, indem eine Ausstellung zum Thema Zwangsarbeiter entwickelt wird.

Lange wurden "Fremdarbeiter" als Opfergruppe der nationalsozialistischen Verbrechen vergessen. Erst in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlangten sie als Opfergruppe mehr Aufmerksamkeit. Doch bis heute wird im öffentlichen Bewusstsein nicht zuerst an Zwangsarbeiter*innen gedacht, erinnert man an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt. Gerade deshalb ist es wichtig diese Verbrechen gegenüber "Fremdarbeitern" im Unterricht zu thematisieren. Der regionalgeschichtliche Ansatz zeigt, dass in jeder Stadt, auch im ländlichen Raum, Menschen aus besetzten Gebieten zwangsverpflichtet und verschleppt wurden, um für ein verbrecherisches Regime arbeiten zu müssen.

Zunächst scheint der Einsatz von Arbeitskräften anderer Nationen völlig widersprüchlich zur NS-Ideologie. Mit den "Polenerlassen" und den "Ostarbeitererlassen" wird deutlich, dass man im NS-Regime diese Widersprüchlichkeit wahrgenommen hatte. Die genannten Erlasse beweisen dann jedoch die perfide Umsetzung der Ideologie, indem gerade Polinnen und Polen sowie Ostarbeiterinnen und -arbeiter besonders diskriminierend behandelt wurden. Das Thema eignet sich, um den Opportunismus eines verbrecherischen Systems aufzudecken.

Die Erinnerungen der ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeiter aus Tuttlingen belegen die besonders diskriminierende Behandlung von Ostarbeiter*innen und Polen*innen im Vergleich zu Arbeitskräften aus Frankreich und den Beneluxstaaten.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


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