"Unwertes Leben"? "Euthanasie" in der Illenau

Hintergrund

Zeittafel


 

NS-„Euthanasie“

30.1.1933

Machtübertragung, Adolf Hitler wird von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

14.7.1933

Erlass des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ („Erbgesundheitsgesetz“). Mit diesem Gesetz wurde juristisch die Möglichkeit geschaffen, von den Nationalsozialisten als „erbrank“ bezeichnete Menschen mit Behinderung (z. B. Menschen mit körperlicher Behinderung oder Alkoholiker) gegen den Willen des Patienten zu sterilisieren. Mindestens 350000 bis 400000 Menschen wurde durch die Anwendung dieses Gesetzes die Möglichkeit auf Nachkommenschaft gewaltsam genommen, mindestens 5000 Menschen starben an Komplikationen nach dem Eingriff.

18.10.1935

Erlass des „Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“. Mit dem „Erbgesundheitsgesetz“ wurde die Eheschließung von Menschen verboten, die zum Beispiel an einer „Erbkrankheit“ oder einer „geistigen Störung“ litten. Ebenfalls seit 1935 mussten die Gesundheitsämter die Gesamtbevölkerung des Deutschen Reichs erbbiologisch zu erfassen. Dazu zählte auch die Erstellung von „Erbgutachten“.

18.8.1939

Gemäß des „geheimen Runderlasses des Reichsinnenministeriums“ mussten Ärzte und Hebammen „behinderte Neugeborene und Kinder unter drei Jahren“ den Gesundheitsämtern melden. Dies hatte zur Folge, dass mindestens 5000 Neugeborene und Kleinkinder in „Kinderfachabteilungen“ verlegt und dort ermordet wurden.

1.9.1939

Adolf Hitler beauftragte mit einem aus dem Oktober 1939 auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges rückdatierten Erlass die Reichsleiter Bouhler und Brandt damit, Ärzte zu bestimmen, die wiederum „unheilbar Kranken“ den „Gnadentod gewähren“ respektive ermorden sollten. Ab September 1939 wurden die Landesregierungen dazu aufgefordert, sowohl die Heil- und Pflegeanstalten sowie die Patienten (ab Oktober 1939) zu erfassen. Dazu gehörte auch die Erstellung von Meldebögen aller Patienten. „Begutachtungsärzte“ entschieden darüber, ob die Patienten als „lebenswürdig“ oder „lebensunwürdig“ klassifiziert wurden. „Lebensunwürdige Menschen“ wurden mit „grauen Bussen“ in eine der sechs Tötungsanstalten im Deutschen Reich mittels Kohlenmonoxid ermordet.

24.8.1941

Offizieller Stopp der als „Aktion T4“ bezeichneten Ermordung von kranken Menschen nach Bekanntwerden des NS-„Euthanasie“-Programms in weiten Teilen der Bevölkerung und Protest namhafter kirchlicher Würdenträger. Bis dahin wurden schätzungsweise 70000 Menschen in den sechs Tötungsanstalten des Reichs ermordet.

Fortdauern der Morde in dezentraler Form bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 (z. B. im Rahmen der „Aktion 14f13“; Bezeichnung der Ermordung von bis zu 20000 als nicht mehr arbeitsfähig angesehenen Menschen in den Konzentrationslagern Bernburg, Hartheim und Sonnenstein).

Mai 2007

Beschluss des Deutschen Bundestags zur Ächtung des ersten nationalsozialistischen Rassengesetzes vom 14.7.1933. Nicht das Gesetz selbst, sondern lediglich die gefällten Sterilisationsurteile und die damit in Verbindung stehenden Handlungen wurden für NS-Unrecht erklärt.

 

B 4 Die ehemalige staatliche Heil- und Pflegeanstalt Illenau

 

Heil- und Pflegeanstalt Illenau

September 1842

Einweihung der Großherzoglichen Badischen Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern.

1940

Bis zum Stopp der nationalsozialistischen „Aktion T4“ diente die Illenau als Heil- und Pflegeanstalt: Dann folgte die Deportation von mindestens 254 der zuletzt 671 Patienten in die Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb, wo sie im Rahmen NS-„Euthanasieprogramm“ der Nationalsozialisten ermordet wurden. Auf Anweisung des Anstaltsleiters Dr. Hans Roemer wurde ein Teil als „geheilt“ entlassen, ein weiterer in andere Heil- und Pflegeanstalten, vor allem nach Emmendingen (Südbaden), verteilt.

8.7.1940

Dr. Hans Roemer verlässt nach zuvor selbst beantragten Krankschreibungen die Illenau in die vorzeitige Pensionierung. Obwohl Roemer nicht als grundsätzlicher Gegner des Regimes bezeichnet werden kann, versuchte Roemer wiederholt, den Abtransport der Patienten aus der Illenau zu verzögern und zu verhindern sowie Unterstützer für ein koordiniertes Vorgehen gegen die Ermordung von Menschen im Rahmen der „Aktion T4“ zu finden. Hans Roemer erfuhr keine Repressionen für sein Verhalten während des Nationalsozialismus und wurde in der Nachkriegszeit beim Entnazifizierungsverfahren im Jahr 1947 als „Mitläufer“ eingestuft.

  

B 2 Portrait Dr. Hans Roemer 

19.12.1940

Streichung der Illenau aus der Liste der badischen Heil- und Pflegeanstalten


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Freiburg -


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